Warum eigentlich nicht Seebach?

In der Stadt Zürich leben über 400’000 Personen, verteilt auf 12 Stadtkreise, jeder unterschiedlich vom anderen. Die Bewohner wählen den Standort ihrer Wohnung nach verschiedenen Kriterien aus, welche von der reinen Preisfrage bis hin zum kulturellen Reiz der Quartiere reichen können. Trotzdem folgen viele Leute dem Trend und wollen fast ausschliesslich in den Kreisen 3, 4 und 5 wohnen – vor allem die jüngere Generation. Zuzügler von ausserhalb, die vielleicht aus rein beruflichen Gründen in die Stadt ziehen und deren Quartiere nicht genau kennen, haben punkto Kreiswahl einen kleineren Drang zur Präferenz. Und doch landen sie meist in der Innenstadt.

Doch was macht die immer selben Quartiere so unwiderstehlich? Weshalb erfreut sich beispielsweise Seebach nicht derselben Beliebtheit wie der Chreis Cheib oder Wiedikon? Und ist das nur eine Momentaufnahme? Denn sind wir mal ehrlich – wie viele Leute wollten bis vor einigen Jahren im Langstrassenquartier wohnen?

Zürich wächst – nur wohin?

Der Bevölkerungszuwachs in der Stadt Zürich ist begrenzt, wie die Statistiken zeigen, die diesbezüglich jährlich erhoben werden. Diese sind Teil der Strategie «Zürich 2040», in welcher das räumliche Konzept für die wachsende Stadt dargelegt wird. Denn bis 2040 sollen bis zu 520’000 Personen in der Limmatstadt Unterschlupf finden. Dies entspricht einem Zuwachs von 25% – die gleiche Einwohnerzahl Winterthurs, der zweitgrössten Stadt im Kanton. Eng daran gekoppelt entwickelt sich der benötigte Raum für Arbeitsplätze. Da es inzwischen kaum noch grosse Flächen gibt, die neu überbaut oder umgenutzt werden können, stellt das eine weitere Herausforderung dar. Die letzten freien Flächen, die sich dazu angeboten hatten, wurden mit Neu-Oerlikon vor 25 Jahren bereits genutzt oder entfalten sich gerade wie in Zürich-West.

Das Wachstum der Stadt soll deshalb möglichst innerhalb der Quartiere stattfinden. Diese «Entwicklung nach innen», wie die Verdichtung auch genannt wird, weist in den Trendquartieren der Kreise 3 und 4 jedoch nur begrenztes Potenzial auf. Bis 2040 darf man dort mit einem Bevölkerungszuwachs von 12% rechnen – dem tiefsten nach dem Kreis 1, der vom erheblichen Denkmalschutz der Altstadt und dem Gebiet rund um die Bahnhofstrasse eingeschränkt ist. Wenn die beliebten Quartiere irgendwann ihr Wachstum ausgeschöpft haben, schiesst mit der Stadtentwicklung der kommenden 20 Jahren bald ein weiteres Quartier als Hotspot aus dem Boden, wie es schon mit Aussersihl geschehen ist?

Der polyzentrale Vorteil der Limmatstadt

Zürich hat durch seinen stetigen Wandel verschiedene Zentren geschaffen. Fand man früher gewisse Läden oder schicke Restaurants nur im Kreis 1, können die Stadtzürcher*innen ihre urbanen Bedürfnisse inzwischen an den verschiedensten Orten stillen. In der Stadtentwicklung spricht man von einer polyzentrischen Struktur. Ähnlich wie man es in Berlin oder London kennt, besticht die moderne Stadt nicht durch ein einziges Zentrum sondern durch diverse Drehpunkte, welche stetig wachsen und den Bewohnern Orte des Arbeitens und der Erledigungen, der Mobilität, des touristischen Besuchs, der Kultur und Freizeit sowie des Wohnens bieten.

Oerlikon hat diesen Wandel bereits vollzogen. Das Langstrassenquartier, Wiedikon und der Kreis 5 sind ebenfalls zu Zentren avanciert, in welchen nur noch eine geringe Verdichtung möglich ist. Quartiere wie Seebach und Altstetten hingegen werden die nächsten Etappen dieser polyzentrischen Entwicklung sein. Die Schaffung öffentlicher Einrichtungen, Grünflächen und effizienten Verkehrsverbindungen rund um diese neuen Zentren fördern die Funktionsmischung in den Kreisen und machen sie somit attraktiver für die Bewohner*innen.

Treibender Faktor in dieser Entwicklung bleiben jedoch die 120’000 neuen Einwohner*innen, die bis 2040 in den dazu vorgesehenen Gebieten Zürich-Nord und -West untergebracht werden sollen. Spannend ist, dass die Quartiere in Zürich seit ihrer Besiedlung alle ihre eigene Geschichte geschrieben haben, doch nicht alle Quartiere zu Polyzentren herangewachsen sind. Nur an den Orten, wo die Verdichtung maximal wird und somit viele Leute zum Leben zusammenkommen, entsteht ein Austausch und folgerichtig Kulturplätze.

Warum dann eigentlich nicht Seebach als Wohnort? Das Quartier ist in seiner Entwicklung noch nicht am selben Punkt wie die voll entwickelten Polyzentren. Die entsprechend kleinere Dynamik innerhalb des Standorts sorgt für eine weniger grosse Beliebtheit des Quartiers, doch grundsätzlich ähnelt die Geschichte Seebachs der von Aussersihl in vielen Punkten. Steht dem nördlichen Stadtteil also eine Entwicklung wie dem Kreis 4 bevor?

Im späten 19. Jahrhundert erfuhr das Quartier vor allem an der südlichen Grenze durch den industriellen Wandel im benachbarten Oerlikon einen Bauboom. Seebach verlor den ländlichen Charakter und wurde zum Wohnort der Arbeiterfamilien. Dementsprechend langsam schritt der Dienstleistungssektor voran. Erst in den 1960er Jahren wurde diese Lücke durch den Bau des Zentrums des Schweizer Fernsehens in Leutschenbach geschlossen. Bereits heute sind einige Parallelen zwischen Seebach und Aussersihl erkennbar. Belebte Erdgeschosse, Naherholungsgebiete und eine effiziente Infrastruktur sind in Seebach längst vorhanden. Der künftige Bevölkerungszuwachs und die Notwendigkeit seinen Bewohner*innen alle Aspekte eines erfüllten Quartiersleben zu bieten, wird in Zukunft den Rest erledigen.