Text: Nora Fata
Europa – Geliebte des Zeus in der griechischen Mythologie und Namensgeberin der Europaallee am Zürcher Hauptbahnhof. Wer sich von einem Stier entführen lässt, der sich als Göttervater herausstellt und dann drei Kinder mit ihm zeugt, hat das Potential um Schirmherrin eines solchen Projekts zu sein. Auf der Website der Stadt Zürich heisst es:
Im Zentrum Zürichs entsteht ein neues Quartier: die Europaallee. Mit dem Gebiet am Hauptbahnhof wird eine der letzten grossen Flächen in der Zürcher Innenstadt neu genutzt.
Klingt nach einem Mammutprojekt, ist es auch. Seit 2003 wird an der Umsetzung des Konzepts gearbeitet, das die Region am Bahnhof zum Knotenpunkt der zentralen Quartiere 1, 4 und 5 machen soll. Skeptische Stimmen kritisieren immer wieder, dass die Europaallee-Idee der Gegend einfach übergestülpt würde. Wenig Durchlaufverkehr (trotz der zentralen Lage) und eine nutzerunfreundliche Architektur scheinen ihnen Recht zu geben.
Vor allem der umittelbar angrenzende Kreis 4 ist von den Massnahmen betroffen und steht nun vor den Toren eines komplett konträren Stadtentwurfs. Der sleeke Look der Europaallee steht im Kontrast zu der hohen Migrationsdichte und kulturellen Vielfältigkeit.
Doch mit dem Zuwachs der Kreativszene mit Künstlern, Galerien, Architekten, Gestalter, Modeschaffenden, Musikern, Clubs und innovativen Gastronomen ist die gentrifizierte Attraktivität gewachsen.
So ist infolge dieser Entwicklung auch das Interesse der Investoren gestiegen. Sorgen um verschwindenden günstigen Wohn- und Gewerberaum und den fahlen Beigeschmack des urbanen Mainstreams werden immer dringlicher im Viertel.
Die Spirale könnte durch die Europaallee mit ihren hohen Mieten und stylischen Läden beschleunigt werden, befürchten viele. Auch wir stellen uns diese Frage, da wir mit dem Tellhof nicht nur unmittelbar betroffen sind, sondern im architektonischen Verständnis von Stadt mit unserem Projekt auch direkten Einfluss nehmen.
Die Umgebung steht für Vergnügen und fremde Kulturen, Wohnen und Arbeiten der Immigranten, Kampf um soziale Gerechtigkeit, kosmopolitisches, pralles Leben, Rotlicht, Drogen, Kreativität und Kunst. Es ist diese vielseitige Dichte, die das Leben hier ausmacht.
Bis heute sind Kreis 4 und 5 genauso berühmt wie berüchtigt – viele, nicht in diesem Biotop Ansässige, fühlen sich von der «Exotik» angezogen oder abgestossen. Das Viertel ist im Lauf seiner Geschichte heterogen und grosstädtisch geworden und polarisiert entsprechend.
Die «Gastarbeiter» von heute arbeiten für Google oder andere Unternehmen, die global vernetzt sind – Englisch und Hochdeutsch ist schon so selbstverständlich wie Schweizerdeutsch. Lässt sich da eine Entwicklung zum globalen Stadtgefühl überhaupt verhindern? Und, sollte man es denn verhindern?
Wie der Kreis 4 in einigen Jahren aussehen wird, kann man aus heutiger Sicht nicht sagen. Dass es ein Quartier der Veränderung bleiben wird, schon. Wir hoffen mit dem Tellhof einen wohlüberlegten Beitrag leisten zu können.